Umsatzsteuerkarussell aus Sicht des Strafverteidigers

Seit dem Jahr 2011 laufen die Verfahren gegen die Beteiligten am größten europäischen Steuerbetrug, ein groß angelegtes Steuerbetrugssystem mit zahlreichen Scheingesellschaften, vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Augsburg. Die ersten Urteile gegen nachweislich Beteiligte sind bereits gefallen. Die Devise: mehrjährige Freiheitsstrafen, u. a. ohne Bewährung! Exemplarisch verurteilte die Strafkammer des Landgerichts Augsburg einen faktischen Geschäftsführer eines als Buffer I agierenden Unternehmens zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten sowie weitere Beteiligte je nach Beteiligungsgrad zu Gesamtfreiheitsstrafen von 3 Jahren bis zu 8 Jahren. Der entstandene Schaden ist immens. Die Rede ist von ca. 16 Mio. €. Die hinterzogenen Steuern fließen u. a. sogar in Terrornetzwerke. Ein Kommandant einer Terrororganisation war Geschäftsführer eines Unternehmens, das nachweislich an einem Umsatzsteuerkarussell beteiligt war. Der Staat hat in den Verfahren Karussellwaren beschlagnahmt und versteigert, um den Schaden jedenfalls teilweise zu kompensieren. Unzählige Verfahren sind noch anhängig. Die Behörden sind seit dem Aufdecken des Steuerskandals fokussiert auf diese Thematik. Aufhänger der Aufnahme der Ermittlungen sind oftmals Verdachtsanzeigen vonseiten der Banken wegen etwaiger Geldwäschedelikte.

Strafrechtlicher Vorwurf

Der Schwerpunkt des strafrechtlichen Vorwurfs im Falle der Beteiligung an einem Umsatzsteuerkarussell liegt in der Steuerhinterziehung nach den §§ 369, 370 Absatz 1, 3 Strafgesetzbuch (StGB). Der Regelstrafrahmen ist Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe. Bei einer Steuerverkürzung in großem Ausmaß oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten verbunden hat, ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt die Wertgrenze für ein großes Ausmaß bei ca. 50.000 € je Tat (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.10.2015 – 1 StR 373/15). Jedenfalls die Tatbegehung als Mitglied einer Bande liegt regelmäßig vor, sodass mit dem verschärften Strafrahmen zu rechnen ist.

Weitere ggf. erfüllte Straftatbestände sind der (Eingehungs-) Betrug nach § 263 StGB zulasten eines gutgläubigen Unternehmens, nämlich banden- und gewerbsmäßiger Betrug nach § 263 Abs. 5 StGB (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. 11. 2009 – 5 StR 91/09), oder Geldwäsche nach § 261 StGB.

Veranlagungsverfahren

Hinzu kommen Forderungen der Finanzbehörden auf Rückzahlung der erstatten Umsatzsteuer sowie Nachzahlungszinsen nach § 233a Abgabenordnung (AO) sowie Hinterziehungszinsen nach § 235 AO in Millionenhöhe.

Vorsorgemaßnahmen

Es gehört zur Masche der Beteiligten steuerehrliche und rechtstreue Unternehmen in die Lieferkette einzubinden, ohne zu offenbaren, dass der wahre Hintergrund ein Umsatzsteuerkarussellgeschäft ist. Insbesondere gehören hierzu Unternehmen, die mit kleinen, hochpreisigen Artikeln handeln. Daneben geraten immer häufiger Transportdienstleister, Speditionen und Logistikunternehmen in die Fänge der Initiatoren. Da das Thema immer mehr an Bedeutung gewinnt, stellt sich für die gutgläubigen Unternehmer die Frage, mithilfe welcher Maßnahmen man sich ggf. gegen den Vorwurf der Beteiligung an einem Umsatzsteuerkarussell schützen kann. Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit den Sorgfaltsmaßstab konkretisiert.

Rechtsprechung im Wandel

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der Thematik ,,Vorsteuerabzug“ im Veranlagungsverfahren vollzog sich ein Wandel. Bislang argumentierte die Rechtsprechung bei Verdachtsmomenten der Teilnahme an einem sog. Umsatzsteuerkarussell, dass es den Beteiligten unabhängig von der inneren Willensrichtung an einer Unternehmereigenschaft im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) fehle (vgl. BGH, Beschluss v. 22.05.2003, Az.: 5 StR 520/02; v. 30.06.2005, Az.: 5 StR 12/05). Dem setzte der Europäische Gerichtshof unter Bezugnahme auf die Mehrwertsteuerrichtlinie einen Riegel vor, indem er ausführte, dass das Recht eines Steuerpflichtigen, der Umsätze in einem Karussell ausführt, auf Vorsteuerabzug nicht dadurch berührt wird, dass in der Lieferkette, zu der diese Umsätze gehören, ohne dass dieser Steuerpflichtige hiervon Kenntnis hat oder haben kann, ein anderer Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet ist. Die nationalen Gerichte folgten der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes unter dem Aspekt der Harmonisierung.

Mit Urteil vom 19. 4. 2007 unter dem Aktenzeichen V R 48/04 führte der Bundesfinanzhof aus, dass ein Unternehmer, der alle Maßnahmen getroffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Betrug – sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug – einbezogen sind, auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen kann, ohne Gefahr zu laufen, sein Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren. Das bedeutet, einem Unternehmer, der zwar objektiv in ein Karussell eingebunden war, aber weder hiervon wusste noch dies hätte erkennen können, der Gutglaubensschutz zugute kommt.

Abhängig vom Einzelfall

Wie derartige Vorsorgemaßnahmen aussehen können und wann von ausreichenden Maßnahmen ausgegangen werden kann, ist einzelfallabhängig. Es gibt keinen ultimativen Plan, mit dem ausgeschlossen werden kann, dass Waren aus betrugsbehafteten Karussellgeschäften herrühren. Es geht lediglich um Risikominimierung. Aus der Praxis ist bekannt, dass bspw. Maßnahmen zur Verifizierung des Sitzes des Unternehmens erforderlich sein können, obgleich die Rechtsprechung die Voraussetzungen dahingehend gelockert hat, dass jede Art von Anschrift auf einer Rechnung ausreicht, solange das ausstellende Unternehmen unter der angegebenen Anschrift erreichbar ist (vgl. BFH vom 21.06.2018, Az.: V R 28/16). Im Übrigen spricht gegen ein Kennenmüssen, dass individuelle Preisverhandlungen stattgefunden haben, es sich bei dem Karussellbeteiligten um – jedenfalls wie bekannt – seriöse Unternehmen in der Branche gehandelt hat, die gelieferten Waren genauestens registriert und auf Beschädigungen untersucht wurden, durch sog. Inspection Reports o. ä. sowie eigens angefertigte Abgleiche bspw. der Seriennummer/IMEI Nummer der Ware ein Doppeldurchlauf nicht hätte stattfinden können, keine persönliche Bereicherung des Steuerpflichtigen oder umsatzabhängige Prämien erfolgt sind. Derartige Maßnahmen indizieren, dass eine bewusste Beteiligung nicht stattgefunden hat. Sollten keine anderweitigen objektiven Umstände für ein Kennenmüssen sprechen, so kann der Vorsteuerabzug im Veranlagungsverfahren berechtigterweise geltend gemacht werden. Sofern es um die strafrechtliche Würdigung geht, indizieren die vorbenannten Umstände gleichfalls das Nichtvorliegen des Vorsatzes im Sinne des § 15 Strafgesetzbuch (StGB).

Ausblick

Die Handlungspflicht liegt bei der Politik. Die Umsatzsteuer ist bereits aufgrund ihrer Systematik betrugsanfällig, weil der Vorsteueranspruch des Empfängers der Leistungen für die an den leistenden Unternehmer gezahlte Umsatzsteuer unabhängig davon entsteht, ob die vom Leistungserbringer vereinnahmte Umsatzsteuer von diesem bereits an das Finanzamt abgeführt wurde. Das Ministerium stellt zwar Maßnahmen auf, die zur Sicherung des Steueraufkommens dienen (vgl. https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/ Monatsberichte/2014/07/Inhalte/Kapitel-3-Analysen/3-2-bekaempfung-umsatzsteuerbetrug.html). Dennoch ist Deutschland eines der sehr wenigen Länder, die bspw. nicht am sogenannten TNA-Verfahren (Transactional Network Analysis) teilnehmen, einem Betrugs-Frühwarnsystem, das mit künstlicher Intelligenz grenzüberschreitenden Betrug schneller entdecken kann. Laut dem Bundesfinanzministerium wird derzeit gemeinsam mit den Ländern eine Teilnahme am TNA-Verfahren geprüft.